Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) erklärt
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Wie können Menschen ihren Vornamen und Geschlechtseintrag ändern – und welche Rechte haben sie dabei? Wie können Mitarbeitende im Berufsalltag respektvoll mit geschlechtlicher Vielfalt umgehen? Das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) gibt darauf klare Antworten. Es stärkt die Rechte von trans*, inter* und nicht-binären Personen – und bietet zugleich Orientierung im Miteinander. In diesem Beitrag erfährst du, was das SBGG regelt, wen es betrifft und was im Arbeitskontext wichtig ist.
Was ist das SBGG & für wen gilt es?
Das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG) – kurz Selbstbestimmungsgesetz – ist am 1. November 2024 in Kraft getreten. Es löst das bisherige „Transsexuellengesetz“ von 1981 ab, das für viele Betroffene mit entwürdigenden Verfahren, medizinischen Gutachten und Gerichtsurteilen verbunden war.
Das neue Gesetz rückt ein zentrales Grundrecht in den Mittelpunkt: Menschen haben das Recht, ihre geschlechtliche Identität selbst zu bestimmen. Das SBGG ermöglicht die Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag durch eine einfache Erklärung beim Standesamt – ohne medizinische Gutachten, ohne Gerichtsverfahren und ohne Offenlegung sensibler Informationen.
Irrtum aufgeklärt: „Jetzt kann jede:r ständig sein Geschlecht ändern.“ Das ist falsch, da die Erklärung erst nach einer dreimonatigen Frist wirksam wird. Danach gilt eine Sperrfrist von 12 Monaten, in der keine erneute Änderung möglich ist. Die Entscheidung ist rechtlich bindend – kein Schnellschuss, sondern ein bewusster, wohlüberlegter Schritt.
Das SBGG gilt für alle Personen, deren Geschlechtsidentität nicht (mehr) mit dem im Geburtenregister eingetragenen Geschlecht übereinstimmt, insbesondere für:
- trans* Personen: Menschen, die sich einem anderen Geschlecht zugehörig fühlen als dem, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde
- nicht-binäre Personen: Menschen, die sich weder (nur) als männlich noch (nur) als weiblich identifizieren
- inter* Personen: Menschen mit angeborenen körperlichen Merkmalen außerhalb der binären Normen
Hinweis: Das SBGG betrifft nur den Vornamen und den Geschlechtseintrag im rechtlichen Sinne – es hat keine Auswirkungen auf körperliche und medizinische Maßnahmen, wie z. B. Hormontherapien oder Operationen. Diese finden weiterhin unabhängig von diesem Gesetz statt.
Warum ist das SBGG wichtig?
Noch immer erleben trans*, inter* und nicht-binäre Personen in Deutschland Diskriminierung, Unsichtbarkeit und strukturelle Hürden. Der bisherige Weg zur Änderung des Geschlechtseintrags war für viele psychisch belastend, teuer und langwierig – häufig verbunden mit dem Zwang, sich vor Fremden rechtfertigen zu müssen. Mit dem SBGG werden die Würde, Teilhabe und psychische Gesundheit von Betroffenen gestärkt – durch einen diskriminierungsfreien Zugang zur rechtlichen Anerkennung der eigenen Identität.
Hinweis: Die Bundesregierung rechnet mit rund 4000 Anträgen pro Jahr auf Änderung des Vornamens und Geschlechtseintrags nach dem SBGG. Die tatsächliche Zahl der Betroffenen dürfte jedoch deutlich höher liegen – denn viele Menschen verzichten weiterhin aus Angst vor Diskriminierung oder bürokratischen Hürden auf eine Änderung. Zum Vergleich: In Deutschland finden jährlich rund 350.000 Eheschließungen statt – jede davon zieht ebenfalls eine mögliche Namensänderung im Melderegister nach sich. Die Zahl der SBGG-Anträge ist damit sehr gering – und betrifft eine kleine, aber oft besonders vulnerable Bevölkerungsgruppe.
Was regelt das SBGG konkret?
Das Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht die einfachere und würdigere Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag – durch eine Erklärung beim Standesamt anstatt vor Gericht. Hier sind die wichtigsten Regelungen im Überblick:
- Selbstbestimmung statt Zwangsbegutachtung: Es sind keinerlei (psychologische) Gutachten mehr für die Änderung notwendig.
- Änderung durch einfache Erklärung beim Standesamt: Die Erklärung wird nach einer dreimonatigen Frist wirksam.
- Sperrfrist von 12 Monaten: Nach der standesamtlichen Erklärung gibt es eine Sperrfrist von 12 Monaten für weitere Änderungen.
- Kein Zwang zu medizinischen Eingriffen oder Operationen: Die rechtliche Änderung ist unabhängig von körperlichen Merkmalen oder einer medizinischen Transition.
- Besondere Regelungen für Minderjährige: Minderjährige ab dem 14. Lebensjahr dürfen eine Erklärung nach dem SBGG nur mit Zustimmung der Sorgeberechtigten (oder gerichtlichem Ersatz) abgeben. Für Personen unter 14 Jahren können nur Sorgeberechtigte den Antrag stellen.
- Vertraulichkeitspflicht: Die neue Identität ist zu respektieren, frühere Angaben dürfen nicht ohne Zustimmung offengelegt werden.
Irrtum aufgeklärt: „Das Gesetz zwingt alle zur gendergerechten Sprache.“ Das ist falsch, da das SBGG nur amtliche Einträge und Persönlichkeitsrechte regelt – nicht die Alltagssprache oder individuelle Wortwahl.
Wann liegt ein Verstoß gegen das SBGG vor?
Verstöße gegen das Gesetz stellen eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts dar und können rechtliche Folgen haben. Besonders im beruflichen Kontext ist ein sorgsamer Umgang gefragt. Typische Verstöße sind:
1. Deadnaming
Wenn jemand absichtlich oder wiederholt den früheren Namen einer Person verwendet, obwohl eine gesetzliche Änderung erfolgt ist. Dies gilt auch in Kommunikationsformen wie E-Mails, Datenbanken, direkten Ansprachen oder Personalakten.
Beispiel: Eine Kollegin wird nach ihrer rechtlichen Namensänderung weiterhin mit dem alten Vornamen adressiert.
2. Unbefugte Offenlegung des alten Namens oder Geschlechtseintrags
Die Weitergabe früherer personenbezogener Daten ohne ausdrückliche Zustimmung ist verboten. Auch ein Outing durch Dritte kann rechtlich relevant sein.
Beispiel: Eine Führungskraft gibt Informationen aus der Personalakte an das Team weiter, obwohl die betroffene Person dies nicht wollte.
3. Missachtung der gewählten Anrede oder Pronomen
Die wiederholte, bewusste Verwendung falscher Pronomen kann als Diskriminierung gewertet werden – besonders, wenn es systematisch geschieht.
Beispiel: Ein Kollege verwendet über längere Zeit das falsche Pronomen, obwohl er über die Änderung informiert wurde.
4. Verletzung der Schweigepflicht
Das Gesetz schützt die Privatsphäre. Interne Daten zum Geschlecht und zur geschlechtlichen Identität dürfen nicht ohne rechtliche Grundlage oder Zustimmung weitergegeben werden.
Beispiel: Eine HR-Mitarbeiterin speichert beide Namen in zugänglichen Systemen, obwohl der alte Name gelöscht werden müsste.
Welche Pflichten haben Arbeitgeber nach dem SBGG?
Arbeitgeber sind nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bereits verpflichtet, Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu verhindern. Mit dem SBGG kommt ein konkreter Handlungsrahmen hinzu. Arbeitgeber sind zu den folgenden Maßnahmen verpflichtet:
- Korrekte Namens- & Pronomenverwendung: Der aktuelle Name und das gewünschte Pronomen sind unabhängig vom Ausweisdokument zu respektieren.
- Anpassung von internen Systemen: Systeme wie E-Mail-Adressen, Türschilder oder Personalakten müssen entsprechend geändert werden.
- Wahrung der Vertraulichkeit: Frühere personenbezogene Daten dürfen nicht ohne ausdrückliche Zustimmung weitergegeben werden.
- Angebot von Schulungen zu Geschlechtervielfalt & Antidiskriminierung: Mitarbeitende sollten sensibilisiert und weitergebildet werden.
- Aktives Unterbinden von Diskriminierung: Auch scheinbar harmlose Kommentare oder Witze müssen unterbunden werden.
- Schaffung vertrauensvoller Gesprächsangebote: Es sollten zugängliche und geschulte Ansprechpartner:innen vorhanden sein, z. B. im HR-Bereich oder Vertrauenspersonen.
Welche Rechte haben Beschäftigte nach dem SBGG?
Beschäftigte haben das Recht, am Arbeitsplatz selbstbestimmt zu sein, respektiert und geschützt zu werden – unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer geschlechtlichen Identität oder amtlichen Einträgen. Betroffene haben das Recht auf:
- eine respektvolle Anrede und Kommunikation
- die Änderung von Namen und Geschlechtseintrag ohne Rechtfertigungsdruck
- den Schutz vor Diskriminierung, Outing und Datenmissbrauch
- die Einsicht und Berichtigung der eigenen Personalakten
- den Anspruch auf ein sicheres, wertschätzendes Arbeitsumfeld
Ein respektvoller Umgang miteinander fördert nicht nur das Wohlbefinden Einzelner, sondern auch Zusammenhalt, Motivation und Vielfalt im ganzen Unternehmen.
Irrtum aufgeklärt: „Das Selbstbestimmungsgesetz beendet Diskriminierung – jetzt sind doch alle gleichgestellt.“ Das stimmt nicht ganz. Das SBGG ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Selbstbestimmung und Rechtssicherheit – aber kein umfassender Schutz vor Diskriminierung. Viele trans*, inter* und nicht-binäre Menschen erleben auch nach Inkrafttreten des Gesetzes weiterhin Ablehnung, Hassrede oder Unsicherheit im Alltag. Die öffentliche Debatte hat teils mit transfeindlichen Stereotypen (z. B. zu öffentlichen Toiletten oder Umkleiden) Ängste geschürt – statt Aufklärung zu fördern. Zudem gibt es Kritik an gesetzlichen Lücken, etwa beim Ausschluss geflüchteter Personen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus. Rechtlicher Fortschritt ist wichtig – gesellschaftliche Akzeptanz bleibt trotzdem eine Aufgabe für uns alle.
In diesem Beitrag hast du erfahren, was das Selbstbestimmungsgesetz regelt, wen es schützt und welche Rechte und Pflichten daraus im Arbeitskontext entstehen. Es stärkt das Selbstbestimmungsrecht von trans*, inter* und nicht-binären Personen – und schafft Klarheit im Umgang mit Namen, Pronomen und Identität. Für viele bedeutet das SBGG, endlich gesehen und respektiert zu werden. Für Unternehmen ist es eine Chance, Vielfalt sichtbar zu machen und Diskriminierung aktiv entgegenzuwirken. Wenn du wissen möchtest, wie du geschlechtliche Vielfalt unterstützen oder Diskriminierung erkennen und vermeiden kannst, findest du weiterführende Informationen in weiteren Beiträgen hier in der Mediathek.
Dieser Artikel wurde von Evermood erstellt und zuletzt am aktualisiert.